Guido Schüllner

Der Gallische Kalender



Die Bruchstücke dieses Bronzekalenders in gallischer Sprache aus dem 2. Jh. n. Chr. wurde im Jahre 1897 im Bereich der Flur »En Chataignerat«, am Nordrand des Ortes Coligny (Dep. Ain 46°23´N 5°21´E), 24 km nordöstlich von Bourg-en-Bresse aufgefunden1. Ver¬mischt mit seinen Fragmenten fand man auch die Bruchstücke einer 1,74 m großen Marsbronze (Wotan!), die aus stilistischen Gründen, insbesondere aufgrund der Ähnlichkeit mit der Marsbronze vom Montmatre d'Avallon (Dep. Yonne), bald nach der Mitte des l. Jahrhunderts n. Chr. gefertigt worden sein dürfte2. Die heute im Musee de la Civilisation gallo-romaine in Lyon aufbewahrte Bronzestatue konnte gänzlich restauriert werden.



Coligny (Dep. Ain, Frankreich).


Mit ungefähr 2021 Zeilen und etwa sechzig Wörtern ist der Kalender eines der bedeutend¬sten Zeugnisse in gallischer Sprache, wenn auch kein zusam¬menhängender Text feststellbar ist. In römischer Kapitalinschrift in die Bronzetafel eingraviert und in sechzehn Spalten ange¬ordnet, handelt es sich um einen fünf Jahre umfassenden Zyklus. Er weist sechzig reguläre Monate und zwei namenlose Schaltmonate auf, die am Beginn und in der Mitte, d.h. nach zweieinhalb Jahren, eingefügt sind und auf dem Schriftfeld etwa den doppelten Raum eines regulären Monats einnehmen. Die Monatsnamen lauten: Samon-, Dumann-, Riuros, Anagantio-, Ogronn-, Cutios, Giamoni-, Simiuissona-, Equos, Elembiu-, Edrini-, Cantlos. Eine Einteilung in Wochen sowie Tagesnamen existiert nicht. Die Ungeraden Monate weisen dreißig Tage auf und tragen die Bezeichnung matu-, was günstig oder vollständig bedeutet, während die ungeraden Mo¬nate der mit Ausnahme des Monats Equ¬os (seine Tageszahl variierte offensichtlich innerhalb des Jahr¬fünfts) mit dem Antonym anmatu- gekennzeichnet sind und 29 Tage aufweisen. Entsprechend besaß das reguläre Jahr 355 Tage. Unterteilt sind die Monate jeweils in zwei Abschnitte von 15+15 bzw. 15+14 Tagen. Bei Monaten, deren zweite Hälfte nur vierzehn Tage zählt, steht an deren Ende divertomu, was wohl »getilgt« bedeutet.

Dabei weist das Bronzetafel am Be¬ginn jeder Tageszeile ein Loch auf, so dass durch das ent¬sprechende Einstecken eines Stiftes das jeweilige Tagesdatum angezeigt werden konnte. Die römerzeitliche Verschriftlichung des Kalenders steht am Ende einer langen Entwicklung des kel¬tischen Kalendersystems, das, auf dem astrologischen Wissen der Bronzezeit fußend, in der frühen Eisenzeit entstanden sein dürfte.

Statue und Kalender sollen Teil eines Altmetalldepots an der Straße Lyon - Bourg-en-Bresse - Lons-Le-Saunier – Besancon sein, da Sondierungen in der Umgebung der Fundstelle keine Spuren einer sakralen Ortlichkeit aus römischer Zeit erbrachten. Beide Objekte gehörten zweifellos zum Inventar eines Heiligtums.


Allerdings stellt der Kalender von Coligny kein singuläres Zeugnis dar, da man kleine Fragmente vergleichbarer Kalen¬der im Wasser des Lac d'Antre (Gemeinde Villards d'Heria) und zu seinen Füßen im Bachbett der Heria fand4.

Über der Heria errichtete man im späten l. und 2. Jahrhundert n. Chr. einen monumentalen Tempelbezirk, dessen architektonische Reste als Pont des Arches bezeichnet werden5.

Die öffentliche Funktion des in Coligny gefundenen Kalen¬ders ist insbesondere aus seinen Maßen ablesbar: 1,48 m Breite und 0,90 m Höhe. Weniger als 50% des Kalenders sind erhalten; die 153 geborgenen Bruchstücke sind heute in einer Art Lückenhaftes-Puzzle an ihrem ursprünglichen Platz angeord¬net6, eines der bedeutendsten Exponate im Lyoner Museum (Abb. l, 2). Angesichts der Monumentalität der Bronzetafel ist davon auszugehen, dass es sich beim originären Aufstellungs¬ort kaum um ein kleines ländliches »fanum« gehandelt hat, viel¬mehr um ein Heiligtum zumindest regionaler Bedeutung. Die Kultstätten am und zu Füßen des Lac d'Antre, die für die »civi-tas Sequanorum« von zentraler Bedeutung waren, zeigen bei¬spielhaft die religiöse und politische Funktion einer derartigen Kultstätte. Das 30 km westlich vom Lac d'Antre gelegene Coligny lag in römischer Epoche im sequanisch-ambarrischen Grenzgebiet7


H. 90,0 cm; B. 148,0 cm (einschließlich der 5,3 cm breiten Rahmenleiste).

Verbleib:

Original: Musee de la Civilisation gallo-romaine, Lyon.

Kopie: Musee des Antiquites Nationales, Saint-Germain-en-

Laye.

Literatur:

Paul-Marie Duval - Georges Pinault: Recueil des Inscriptions

Gauloises, Bd. 3: Les Calendriers (Coligny, Villards d'Heria)

(Gallia, Supplement, Bd. 45). Paris 1986. Garrett Olmsted: The Gaulish Calendar. Bonn 1992. [M. G.]